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Verpasst Deutschland den Fernsehmarkt von morgen?


Dr. Alexander Henschel (Foto), Managing Director des Beratungsunternehmens goetzpartners, sagt: "Online-Portale werden den Fernsehmarkt von morgen nachhaltig prägen. Deutschland muss auf den Zug aufspringen, um nicht den Anschluss zu verpassen." Bei den Audiovisual Media Days in München spricht er am 30. April über erfolgreiche Business-Modelle im digitalen Bewegtbild-Dschungel.

Ein Gastkommentar:

Verpasst Deutschland den Anschluss an den Fernsehmarkt von morgen? Diese Frage muss man momentan wohl oder übel mit Ja beantworten. Denn der Weg zu eigenen Online-Portalen, die Serien und Filme senderübergreifend on demand anbieten, bleibt Deutschlands Medien-Machern bisher verwehrt. Das hiesige Kartellrecht schiebt den Managern einen Riegel vor. Die deutschen Wettbewerbshüter verboten eine gemeinsame Internetplattform der beiden TV-Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1. Die geplante Online-Videothek von ARD und ZDF, Germany's Gold, wurde ebenfalls auf das Abstellgleis verfrachtet. 
Einer der größten Wachstumsmärkte und auch einer der lukrativsten, bleibt Deutschland somit weitgehend verschlossen. Diese Pille muss vorerst geschluckt werden, und sie ist bitter. Denn weltweit etablieren sich zunehmend Online-Videotheken, die mit neuen Geschäftsmodellen Fernseh- und Filminhalte bündeln und anbieten – diese überwiegend kostenfrei. Beispiele gibt es etliche: Zattoo von unseren Nachbarn aus der Schweiz, Magine aus Schweden oder Hulu und Netflix aus Amerika. Sie alle bieten kostenfreien Fernsehcontent im Netz an. Deutschland schaut in die Röhre, aber nicht in die eigene.

Was treibt die Entwicklung von Online-Videotheken an? Meiner Meinung nach ist es ein Zusammenspiel von vier Faktoren:
An erster Stelle steht ganz klar das Nachfrage-Angebot-Verhältnis. Immer mehr Menschen konsumieren im Web regelmäßig Bewegtbildinhalte. Und das bitteschön jederzeit und überall. Laut BVDW sind es in Deutschland drei von vier Internet-Usern. Audiovisuelle Inhalte belegen den Großteil des gesamten Datenverkehrs bereits heute. 
On demand ist für mich dabei das zweite Schlüsselwort. Ob das nun ein Youtube-Video, die neueste Serie oder ein Kino-Klassiker ist, aus Konsumentensicht muss alles immer und überall abrufbar sein.
Drittens, internationale Anbieter kennen den Wunsch ihrer Kunden schon längst und überfluten den Markt mit attraktiven Angeboten, beispielsweise mit kostenfreien Streaming-Optionen. Natürlich sollen einzelne Sendungen abgerufen werden können, wichtig ist den großen Playern aber vor allem das Schnüren von Programmpaketen und diese zielgruppengenau an den Konsumenten zu bringen.
Der letzte ausschlaggebende Punkt ist die personalisierte Ansprache. Ein individualisiertes Angebot wird immer wichtiger. Außerdem schaffen die Anbieter für Werbekunden somit  völlig neue Möglichkeiten der Zielgruppenansprache.

Neben einem grundsätzlich ähnlichen Geschäftsmodell eint all diese Streamingdienste noch etwas: Es herrscht ein enormer Expansionsdrang über nationale Grenzen hinaus. Magine ist hierzulande gerade online gegangen. Netflix steht in Deutschland in den Startlöchern und Zattoo ist bereits verfügbar. Allerdings können die ProSiebenSat.1-Sender und RTL bei Zattoo nur im kostenpflichtigen HiQ-Package gesehen werden, da sie sich durch Werbeeinnahmen finanzieren. Unter den derzeitigen wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen werden die deutschen Sendergruppen dem kaum etwas entgegen setzen können. Weitere Portale wie Maxdome (ProSiebenSat.1) oder Clipfish (RTL) versuchen sich dem Vorbild von Video-on-demand anzupassen. Jedoch sind sie nicht sehr User-freundlich und erscheinen eher wie kleinteilige Insellösungen. Während des gemütlichen "Zappens" will doch niemanden zwischen den Plattform wechseln. Der Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Fernsehen ist so keinesfalls gegeben. 

Der grundsätzliche Trend weg vom linearen, hin zum nicht linearen Fernsehen ist aus unserer Sicht unabwendbar. Die Global Player sind dabei die Treiber des Marktes und profitieren vom gewaltigen Umbruch in der Nutzung von audiovisuellen Medien.
Unser Medienkonsum wird immer zeit- und geräteunabhängiger. Die Nutzer erwarten, immer und überall und auf jedem Kanal auf die Inhalte zugreifen zu können. Es ist ganz entscheidend, das Nutzungsverhalten seiner Zielgruppen zu kennen. Die ältere Generation konsumiert Fernsehen überwiegend noch über den stationären Fernseher. Sprechen wir aber von Video-on-demand, sind die jüngeren Konsumenten die Adressaten; die User, die Medieninhalte auf jedem Gerät mit userfreundlicher Bedienoberfläche konsumieren möchten. 
In deutschen Haushalten etabliert sich schon jetzt ein komplett neues Multiscreen-Nutzungs-Verhalten. Nach unseren Prognosen wird die Zahl der smarten Devices bis 2015 um 80 Millionen auf insgesamt 105,4 Millionen Geräte anwachsen. Statistisch hat dann also jeder Haushalt zwei internetfähige Endgeräte. Hierauf wird der größte Teil des Medienkonsums stattfinden.

Was bedeutet das für die Zukunft des Fernsehens?
Deutsche Sender müssen rasch aufholen und auf faire Wettbewerbsbedingungen drängen. Wir brauchen eine Überarbeitung des Kartellrechts hin zu einem zeitgemäßen und allgemeinen Wettbewerbsrecht. Deutschland verliert ansonsten in absehbarer Zukunft den Anschluss an den Fernsehmarkt von morgen. Parallel sollten sich die Sendergruppen das Ziel setzen, auf möglichst vielen Plattformen im Web präsent zu sein. Und das mit einem zeitgemäßen Bezahlsystem. Eine Blockadehaltung der hiesigen Sender gegen die neuen globalen Streamingdienste ist eine Sackgasse.
Lineares Fernsehen, wie wir es kennen, wird sich Stück für Stück auflösen. In Zukunft wird die Interaktion zwischen Publikum und Sendung  an oberster Stelle stehen – also eine konkrete Einbindung von Social Media-Komponenten in die jeweiligen TV-Formate. Der im Jahr 2011 in Zürich gestartete Sender Joiz zeigt heute schon, wie so etwas künftig aussehen kann.

Es wird eine Parallelentwicklung von Online-Videotheken und dem linearen Fernsehen geben. Und sicherlich werden bestimmte Lagerfeuer-Formate  weiterhin bestehen, die eher in einer gewissen Geselligkeit funktionieren. Ebenso wie Sendungen, die mit einer Art Countdown zur Erstausstrahlung einen Hype beim Zuschauer auslösen, um ihn vor den Fernseher zu locken. Jedoch lässt sich auch bei diesen Formaten – sei es nun 'Circus Halligalli', 'Bauer sucht Frau' oder 'Germanys Next Topmodel' – ein deutlicher Einbruch der Zuschauerquote erkennen. Auch 'Wetten, dass…?', die einstige Familiensendung am Samstagabend ist nicht mehr zu retten gewesen.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der TV-Branche ein tief greifender Strukturwandel, wie ihn auch die Verlagsbranche und die Musikindustrie erfahren mussten, bevorsteht. Ein erster Schritt ist mit dem Start von Magine in Deutschland gemacht. 
Wir gehen davon aus, dass in fünf Jahren, die Altersgruppe der unter 30-Jährigen mehr Vide-Content non-linear als linear konsumieren wird, und zwar überwiegend auf mobilen Devices.

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Margit Mair 25.04.2014