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Agenturen sind nicht in der Krise, das Marketing ist in der Krise


Ex-Jung von Matt-Vorstand Thomas Strerath ist heute als freier Marketingberater unterwegs (Foto: strerath.)

Die Markenkommunikation der Zukunft wird hochgradig automatisiert, personalisiert und dynamisch sein. Das hat gravierende Konsequenzen - für die Agenturbranche, vor allem aber auch für die Marketingorganisation der Unternehmen. Welche, beschreibt Marketingberater Thomas Strerath in der Strategy Corner.

Medien gegen die digitalen Großmächte
Die Berichte und Aufsätze über die Auswirkungen der Digitalisierung, der damit einhergehenden Veränderungen des Mediennutzungsverhaltens der Konsumenten und in der Konsequenz der veränderten Kaufprozesse in fast allen Produktkategorien sind zahllos. Bei dieser Diskussion stehen interessanterweise die Medien und vor allem die Agenturen im Fokus. Die Medien versuchen sich der digitalen Großmächte mittels Qualitätsargumenten und angeblich politischer Verantwortung zu erwehren, indem sie den Googles und Facebooks vorwerfen, weder ausreichend Reichweite produzieren noch erstklassige journalistische Umfelder bieten zu können, die angeblich werbewirkungsfördernd sind.

Argumentationskeule Demokratie
Hinzu kommen die Diskussionen um die manipulativen Eingriffe nicht demokratischer Kräfte auf diesen Plattformen, die Steuerflucht und der sehr laxe Umgang mit den Nutzerdaten. Alles das stimmt wohl, hält den gemeinen Europäer aber nicht davon ab, zunehmend seine Zeit auf eben diesen Angeboten zu verbringen, während gedruckte Angebote und lineares Fernsehen mit abnehmender Aufmerksamkeit bedacht werden. Keine Fachveranstaltung, auf der Vertreter dieser Medien das nicht leugnen oder zumindest versuchen, den Eindruck zu erwecken, man sei die letzte Bastion der Demokratie. Immerhin.

Alle schauen auf die Agenturen
Da haben es die Agenturen deutlich schwerer, solche Argumentationskeulen können sie nicht für sich schwingen. Agenturen waren schon immer der schwächste Partner im Marketing-Triumvirat von Marken, Medien und Agenturen. Der Dienstleister eben.
Und der steht mächtig unter Druck. Die Kunden haben den einst renditestarken Kreativ-Häusern in den Einkaufsabteilungen erst ihren Zauber und dann den Profit geraubt. Auch hier finden sich immer noch Vertreter, die bei jeder Gelegenheit beteuern, dass es ihnen blendend ginge. Der Ausverkauf von Agenturen beispielweise an die Unternehmensberatungen wird dann sogar als Beweis für die eigene Attraktivität verstanden. Das zeugt in der Tat von hoher Kreativität, allerdings auch von wenig wirtschaftlichem Verständnis. Der allgemeine Trend der Agenturen lässt sich an den Kennzahlen der großen Werbeholdings ablesen. Während es den US-basierten Omnicom und Interpublic nur ein wenig schlecht geht, geht es den europäisch-basierten WPP und Publicis schon richtig schlecht.

Wirklicher Wandel beginnt im Marketing
Aber wie steht es denn um die beauftragende Seite in diesem Spiel, das Marketing der werbetreibenden Industrie? Wenn sich doch alles verändert, wie verändert sich denn die Aufstellung der Marketing-Organisationen, welche Auswirkungen hat das auf Technologie-Ausstattung, auf Prozesse, auf Arbeitsweisen? Hier hört man vergleichsweise wenig, wahrscheinlich eben, weil hier das Geld liegt und man die Auftraggeber nicht verärgern möchte. Und wenn mal etwas berichtet wird, ist es meist ein Heldenepos, da wird das Marketing gleich komplett neu erfunden. Aber selbst diese Selbstdarstellungsmaßnahmen verraten uns viel über den tatsächlichen Zustand der meisten Marketing-Abteilungen in Deutschland, in Europa. Und der ist nicht gut.

Es geht nicht um Einzelspieler im Eco-System Marketing
Zu dieser Einschätzung kann man zumindest kommen, wenn man den Blick in die USA und den asiatischen Raum richtet. Dort versteht man, dass Digitalisierung im Marketing vor allem bedeutet, dass die Anzahl der zu erstellenden "Assets" exponentiell wächst. Unter dem lieblosen Begriff "Asset" versteht man jedes einzelne Werbemittel. Das kann ein TV-Spot sein, ein simpler Banner, eine E-Mail oder ein konkretes Angebot. Die Möglichkeiten, oder man könnte sagen, die Zwänge zur Personalisierung können nur genutzt werden, wenn man am Ende auch personalisierte – und damit verschiedene – "Assets" ausliefern kann. Digitale Unternehmen nutzen diese Möglichkeiten beispielsweise schon in der individuellen Preisgestaltung, weil man analysieren kann, welche Preisflexibilität ein Kunde mitbringt. Volkswagen beispielsweise schätzt, dass sich die Zahl dieser "Assets" bis 2021 verfünffacht. Diese Zahl kann man skeptisch sehen, wahrscheinlich wird es deutlich mehr sein.
Um diese Mengen bewältigen zu können, haben in diesen Märkten viele Marketing-Organisationen sich und ihr Eco-System neu aufgestellt. Kern dabei ist, dass die Hoheit über die Daten nicht bei Dienstleistern liegen kann, sondern zentraler Ankerpunkt jeder Marketing-Strategie ist. Die dabei notwendigen Partnerschaften mit Google oder Facebook pflegt man dann auch selbst und nicht über eine Media-Agentur. Einkaufsvorteile können sie hier nicht leisten, im Gegenteil, sie nehmen mit Technologie- und Beratungsgebühren dem Media-Budget an Kraft. Insourcing ist hier der große Trend, 63 Prozent der in der amerikanischen Society of Digital Agencies organisierten Dienstleister sehen für sich hier den zentralen Grund abnehmender Honorare.

Das technologische Ordnungsprinzip der dynamischen und individualisierten Journey
Dieser Schritt gelingt den Marketing-Organisationen aber nur, wenn sie sich auch technologisch sauber aufstellen, meist mithilfe der großen Standardlösungsanbieter wie Adobe und Salesforce. Bei der Implementierung solcher großen Softwarelösungen wird deutlich, dass es nur Sinn macht, wenn auch die dort abzubildenden Arbeitsprozesse abteilungsübergreifend laufen. Besser noch, wenn die Silos der Marketing-Disziplinen eingerissen werden und man aufgabenbezogen Teams bildet. Das gerne auch mit den involvierten Partnern und Agenturen.
Das bisherige Abstimmungs-Ping-Pong zwischen Kunde und Agentur weicht einem integrierten Ansatz, bei dem oft kaum zu erkennen ist, wer Auftraggeber und wer Dienstleister ist. Die beauftragten Partner müssen jedenfalls auf eigene Tools und Systeme verzichten, sondern sich nahtlos in die neu gestalteten Prozesse und Strukturen einfinden. Statt Disziplinen und Abteilungsdenken steht nun die Customer Journey im Zentrum des Ansatzes. So wird es weniger zu einem Data-Driven-Marketing als zu einem Convenience-Driven-Marketing. Die Datenpunkte in dieser Journey werden als Impulsgeber der Werbemittelproduktion aufgenommen, die dann automatisiert oder zumindest teilautomatisiert produziert werden. Der lineare, rein ideengetriebene Arbeitsprozess für Kampagnen weicht einem dynamischen individualisierten Ansatz.

Je mehr Komplexität ein Marketing-Eco-System erträgt, umso erfolgreicher
Boston Consulting weist in einer empirischen Studie vom Februar dieses Jahres diesem Ansatz eine Kostenersparnis von 30 Prozent bei einer gesteigerten Werbeleistung von 35 Prozent zu. Marketing in diesen Unternehmen sorgt so im Schnitt für ein 20-Prozent-Umsatzwachstum. Man kann auch diese Studie beziehungsweise die konkreten Zahlen kritisch sehen, der Auftraggeber ist Google, aber die grundlegende Tendenz lässt sich kaum verleugnen.
Dieser "Way of Working" erfordert also ein Umdenken in der Organisation, der technologischen Ausstattung, der Verkürzung der Prozesse, der Aufgabe extrem arbeitsteiliger Methoden und neu gestalteten Partnerschaften.
Vielen Entscheidern erscheint das sehr komplex, das ist es auch. Aber sie reagieren hierzulande noch zu oft auf diese Komplexität mit Kompliziertheit. Das bringt nicht nur die beteiligten Agenturen an den Rand ihrer Existenz, sondern oft stoßen auch die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Marketing-Organisationen an die Grenze des Möglichen und trotzdem nicht an die Grenze des Notwendigen. Der anstehende Wandel lässt sich nicht mehr nur durch ein Auswechseln der Dienstleister bewältigen, es geht um eine grundlegende Transformation des Marketings.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Print-Ausgabe von new business.

In der Rubrik Strategy Corner, einer exklusiven Kooperation mit der APG, diskutieren alle 14 Tage strategische und kreative Köpfe aus dem Netzwerk des Verbands aktuelle Themen der Branche.

Die Account Planning Group (www.apgd.de) ist der Berufsverband der Marken- und Kommunikations-Strategen. 1997 gegründet, zählt die APG aktuell rund 630 Mitglieder. Neben ihrem Aus- und Weiterbildungsprogramm bietet sie u.a. mit Vortragsreihen wie dem "Speaker´s Snack" und der jährlichen Konferenz GROW der Branche eine inhaltliche Plattform.



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(is) 24.10.2019


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