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Strategy Corner: "Es gibt kein Unternehmen ohne Haltung"


(Foto: Clark Tibbs/Unsplash)

Welche Rolle spielen Themen wie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Marketing? Über den Haltungs-Hype und die Herausforderungen, die sich für Unternehmen daraus ergeben, sprach 'new business' mit Maik Hofmann, Vorstandsvorsitzender der Account Planning Group Deutschland und Managing Director bei VORN Strategy Consulting in Frankfurt am Main, und Dr. Gordon Euchler, ebenfalls Vorstandsmitglied der APG und Head of Strategy bei BBDO in Düsseldorf.

Herr Hofmann und Herr Euchler: Muss heute jede Marke Haltung haben?
Gordon Euchler: Es gibt kein Unternehmen ohne Haltung. Die Haltung zeigt sich in allem, was das Unternehmen macht und in allem, wie und was es kommuniziert, und zwar durch alle handelnden Personen – für Verbraucher und Menschen. Das ist weder Pflicht noch Kür. Das ist einfach so. Die Frage ist nur: ist diese Haltung gut oder ist sie nicht gut? Und möchte ich sie deshalb ändern?

Maik Hofmann: Vollkommen richtig: alle Unternehmen haben eine Haltung – und sei sie auch nur ökonomisch-opportunistisch. Die Frage ist, wie bewusst die eigene Haltung den handelnden Personen ist und wie transparent sie intern diskutiert und extern kommuniziert wird. Sobald sich eine Marke aktiv zu ihrer Haltung bekennt, 'riskiert' sie allerdings, auch daran gemessen zu werden. Dieses Risiko scheuen nach wie vor viele Marken – oder sie verstehen Sinnstiftung als Trend und versuchen mit Trittbrett-Kampagnen zu profitieren. Letzteres zahlt sich langfristig in der Regel nicht aus und impliziert tatsächlich ein nicht unerhebliches Risiko.

Die Strategie- und Kommunikationsagenturen helfen Unternehmen ja gern dabei, einen 'higher purpose' für ihre Brands zu entdecken – und dann natürlich auch zu inszenieren. Mit welchen Tools, Insights, Daten kann man dabei arbeiten?
Euchler: Eine Haltung existiert nicht auf Powerpoint-Charts oder Manifestos. Eine Haltung existiert nur im Unternehmen selber. Um sie zu entwickeln oder ändern, gilt die strategische Grundregel: Was ist die Haltung heute? Wie kann sie morgen besser sein? Und was kann ich tun, damit sie tatsächlich besser wird? Wie ich diesen Weg beschreite, hängt von dem Unternehmen, der Situation und den Akteuren ab.

Hofmann: Leider haben wir nach wie vor kein adäquates deutsches Wort für Purpose. Nichtsdestotrotz: Ein Purpose im Sinne von einer 'Bestimmung', einer 'Existenzberechtigung', eines 'inneren Antriebs' ist mehr als nur eine Haltung. Um dem Purpose auf die Spur zu kommen, muss man den Blick nach innen wenden. Man kann ihn nicht erfinden oder ableiten, sondern muss ihn in der DNA des Unternehmens und der Mitarbeitenden entdecken und dann möglichst klar sowie idealerweise inspirierend artikulieren. Das ist sozusagen forensische Arbeit, bei der Agenturen – vor allem deren erfahrene Strategen – wunderbar helfen können. Voraussetzung: Sie bringen die Demut und Empathie mit, sich ernsthaft auf das Innere der anderen Seite einzulassen und nicht sofort in (Award-) Ideen oder Kampagnen zu denken.



Dr. Gordon Euchler, Vorstandsmitglied APG und Head of Strategy bei BBDO Düsseldorf (Foto: APG)

Dass sich Marken und Unternehmen für gute Zwecke einsetzen, ist natürlich gut und wünschenswert. Aber mal aus der markenstrategischen bzw. marketingtechnischen Perspektive gefragt: Was genau bringt 'Purpose' einer Marke – und wo liegen vielleicht auch Risiken?
Euchler: Wenn ein Unternehmen einen Purpose verfolgt, so verlangt dieser auch, zu gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen und sich einzubringen. Am stärksten funktioniert dies, wenn das Unternehmen mit seinen Kerngeschäft dazu beitragen kann. Wie Nike damals mit Reuse a Shoe – wo alte Schuhe recycelt werden, um als Tartanbelag für neue Sportplätze zu dienen. Dann ergibt sich ein schlüssiger Kreislauf aus Kerngeschäft und Purpose.

Hofmann: Ein funktionierender Purpose richtet vor allem langfristig die Energien der handelnden Personen zielgerichtet aus. Idealerweise sollte dabei klar werden, welchen übergeordneten Beitrag das Unternehmen für die Gesellschaft leistet. Das muss nicht zwingend karitativ, für einen guten Zweck sein – hat aber natürlich umso größeres Potenzial, wenn dem so ist. Patagonia zum Beispiel definiert den eigenen Zweck darin, naturverbundene Momente zu ermöglichen – und das auch in Zukunft. Entsprechend entwickeln sie Produkte, die körperliche Aktivität in der Natur freudvoll erlebbar machen und achten gleichzeitig darauf, die Natur dabei möglichst zu schonen. Das geht soweit, dass sie in ihrer Kampagne 'Don´t buy this Jacket' sogar dazu aufrufen, nicht mehr Patagonia-Produkte zu kaufen als wirklich nötig. Sie achten aber auch bei Entwicklung und Produktion darauf, möglichst wenig Schaden für Mensch und Natur zu verursachen sowie Produkte herzustellen, die sowohl lange halten als sich auch gut reparieren lassen. Dafür bieten sie mit der Worn Wear Initiative sogar spezielle Services an. Die Verbraucher belohnen sie mit einer hohen Preistoleranz und mit einem gewissen Kultfaktor, der die Marke umgibt.

Die Grenzen zwischen 'intrinsisch motiviertem' Engagement und eher trend-getriebenem Aktionismus sind fließend. Authentizität und Glaubwürdigkeit werden dabei immer eingefordert – aber sind die Konsumenten wirklich so kritisch?
Euchler: Ich finde die Frage nach dem kritischen Konsumenten falsch. Es liegt im Interesse des Unternehmens, aus seiner Haltung und seinem Kerngeschäft heraus zu handeln, und so zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen beizutragen. Das stärkt den Zusammenhalt im Unternehmen, die Rolle des Unternehmens in seinem Kerngeschäft und dann auch in der Gesellschaft. Gibt es irgendeinen Grund, so nicht zu handeln?

Hofmann: Studien wie der Edelman Trust Barometer oder Havas Meaningful Brands belegen eindeutig, wie wichtig eine klare Haltung 2019 für Marken ist: Drei von vier Menschen erwarten von Marken, dass sie einen größeren gesellschaftlichen Beitrag leisten und jeder zweite glaubt, dass Marken mehr machen können, um das soziale Leben zu verbessern als die Regierung.

Was bedeutet der Haltungs-Hype für die einstigen Vorreiter der Bewegung, also zum Beispiel ältere Marken aus dem Bio-Bereich, deren ästhetische Codes jetzt von Big Brands 'gekapert' werden? Entsteht hier ein neues Aufgabenfeld für strategische Kommunikationsberater?
Euchler: Ästhetische Codes ersetzen nicht Haltung. Und Haltung kann man auch nicht kapern. Haltung kommt aus dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern. Hier – und nur hier – besteht Handlungsbedarf.
Hofmann: Das muss ich relativieren. Natürlich ersetzen Codes keine Haltung. In der (Massen-) Wahrnehmung können geschickt eingesetzte Codes aber durchaus meinungsbildend wirken. In einer Untersuchung, die ich einst zusammen mit der Kult-Naturkosmetik Marke Annemarie Börlind durchführen durfte, konnten Marken wie Rituals bei der Zurechnung von 'ist natürlich' oder sogar 'ist Naturkosmetik' erstaunlich hoch punkten – obwohl das lediglich implizit durch Design u.a. impliziert suggeriert wird. Also ja: Die langfristige kommunikative Durchsetzung des eigenen Purpose ist nicht ganz so trivial und wird meines Erachtens nach künftig verstärkt Gegenstand strategischer Kommunikationsberatung.

(Fragen: Ilka Schwabedissen)


Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Print-Ausgabe von new business.

In der Rubrik Strategy Corner, einer exklusiven Kooperation mit der APG, diskutieren alle 14 Tage strategische und kreative Köpfe aus dem Netzwerk des Verbands aktuelle Themen der Branche.

Die Account Planning Group ist der Berufsverband der Marken- und Kommunikations-Strategen. 1997 gegründet, zählt die APG aktuell rund 630 Mitglieder. Neben ihrem Aus- und Weiterbildungsprogramm bietet sie u.a. mit Vortragsreihen wie dem "Speaker´s Snack" und der jährlichen Konferenz GROW der Branche eine inhaltliche Plattform.




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(is) 15.11.2019


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