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Zum CEBIT-Aus: Die Messe ist tot - es lebe die Messe!

Manfred Engeser ist Chefredakteur bei Palmer Hargreaves in Köln (Foto: Palmer Hargreaves)
Manfred Engeser ist Chefredakteur bei Palmer Hargreaves in Köln (Foto: Palmer Hargreaves)

Die Hannoversche Computermesse CeBIT ist Geschichte. Warum das ein gutes Zeichen für den Digitalstandort Deutschland ist, erklärt new business-Gastautor Manfred Engeser, Chefredakteur bei Palmer Hargreaves.


Er wurde heimlich im Helikopter eingeflogen, über Schleichwege durch die Katakomben des Messegeländes geleitet, weil niemand wissen sollte, wo er sich aufhält. Dann ein kurzer Sprung unter die Dusche und rauf auf die Bühne: Tausende Besucher standen sich die Beine in den Bauch im größten Saal des Messegeländes in Hannover, tausende weitere Besucher standen vor den Türen Schlange, als Bill Gates den damals "heißesten Scheiß" der Software-Welt vorstellte: Windows 95, auf der CeBIT in Hannover. Weil der Andrang damals so groß war, wurden in anderen Räumen Bildschirme platziert und die Rede live übertragen.

Von 850.000 auf null
Am 12. März 1995 war das – und rückblickend wohl einer der absoluten Höhepunkte in der Geschichte der einst größten IT-Messe der Welt. Gegründet 1986 als "Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation", entwickelte sich das Format bald zum Publikumsmagneten für Aussteller aus aller Welt. Wer etwas gelten wollte in der IT-Branche, mietete einen möglichst großen Stand in den Messehallen in Hannover. Wer die neusten Geräte, die nächsten Tech-Trends nicht verpassen wollte, pilgerte nach Hannover, dem jahrelangen Mekka der IT-Branche: 850.000 Gäste waren es zum Höhepunkt 2001, zuletzt immer weniger: 200 000 im Jahr 2017, nur mehr 120.000 im Sommer 2018 – der einstige Heilsbringer Microsoft schon nicht mehr dabei auf einer Veranstaltung, die versuchte, sich zum Digital-Festival zu wandeln. Und bei der ein Riesenrad, aufgebaut von SAP, schon zu den Highlights gehörte. Jetzt ist endgültig Schluss, die CeBIT Geschichte – die bereits angekündigte Neuauflage 2019 wird es nicht mehr geben. Schlusspunkt eines gut 20 Jahre dauernden schleichenden Abschieds – vom Weltmarktführer in die Pleite. "Die Zukunftsfähigkeit der Messe hat mit der Verbreitung der Digitalisierung und anderer technologischer Trends in allen Branchen abgenommen", sagte Bernd Althusmann, Wirtschaftsminister von Niedersachsen und Aufsichtsratschef der Messe AG, dem Handelsblatt. Das Unternehmen werde nun Themen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz "in kleineren Messen Raum geben".

Gut für Deutschlands Digitalisierung
Ausgerechnet die Digitalisierung als Totengräber einer Institution, die sich den technologischen Wandel auf die Fahnen geschrieben hat: ein Treppenwitz der jüngsten Technologiegeschichte? Ein Grund zur Trauer? Ein Warnschuss gar für die Digitalisierungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft? Nein, im Gegenteil. Das Ende des Messe-Dinosauriers CeBIT ist ein gutes Zeichen für den Digitalstandort Deutschland. Warum? Aus drei Gründen:
1. Nostalgie ist kein Geschäftsmodell.
2. Neues Denken braucht Freiraum und die richtigen Partner.
3. Neue Ideen brauchen innovative Kommunikation

Der Weg in die digitale Transformation bedeutet nicht, alles Tradierte auf Teufel komm raus über Bord zu werfen. Aber Unternehmen, die sich die Digitalisierung auf die Fahne geschrieben haben, die digitale Transformation als Teil ihres Geschäftsmodells verstehen, müssen in der Lage sein, sich von Althergebrachtem zu trennen, sich von lieb gewonnenen Gewohnheiten zu verabschieden. Vor allem, wenn diese zur Sackgasse werden, die den Weg in und den Blick für die Zukunft versperrt.
Digitale Vorreiter fahren besser, wenn sie sich auf ihrem Weg der digitalen Transformation nicht in die Abhängigkeit anderer begeben. Egal, ob in der Produktion, in der Forschung oder im Marketing: Digitale Vorreiter geben die Richtung vor, entscheiden souverän. Anstatt sich von einem zunehmend behäbigen Partner wie zuletzt der CeBIT ausbremsen zu lassen, empfiehlt es sich, ausgetretene Pfade zu verlassen und selbstbestimmt, mit wachem Geist, neue Wege zu gehen. Diesen Freiraum im in Anspruch zu nehmen heißt aber nicht, die digitale Transformation am besten im Alleingang voranzutreiben. Im Gegenteil: Die Wahl der richtigen Partner ist essenziell, gerade auch im Zeitalter der Digitalisierung. Aber eben ein Netzwerk, ein Umfeld, das nicht von Interessen Dritter geprägt ist, sondern die eigenen Ziele unterstützt.

Analoge Ankerpunkte in einer digitalen Welt
Vor allem aber braucht neues Denken auch neue Wege der Kommunikation. Das heißt nicht, dass Unternehmen ihre Botschaften nur noch auf digitalen Kanälen verbreiten. Gerade die scheinbar körperlose digitale Welt braucht analoge Ankerpunkte, muss Kunden, muss Multiplikatoren die Möglichkeit des physischen Austauschs bieten. Aber bitte nicht als gesichtsloses Massen-Event mit Kommunikation nach dem Gießkannen-Prinzip ohne eine reelle Möglichkeit, mit den eigenen Botschaften durchzudringen im Gedränge der Konkurrenz. Und bitte auch nicht als Kopie erfolgreicher Vorbilder, als billiger Abklatsch anderswo erprobter Formate. Gefragt sind maßgeschneiderte Veranstaltungen mit einem Rahmenprogramm, das gezielt auf die Interessen des Veranstalters abgestimmt ist. Die die angepeilte Zielgruppe bei ihren Bedürfnissen abholt – mit Klartext statt inhaltsleeren Formeln, mit Rendite statt Riesenrädern. Ein Format, das Unternehmen heute am besten in Eigenregie planen und umsetzen.
Wie das funktionieren kann, hat vor einigen Jahren das Technologieunternehmen GFT vorgemacht: Der langjährige Gast der CeBIT hatte sich dort zuletzt in Halle 16 ausgebreitet – in kurzer Zeit Symbol für den etwas anderen Messeauftritt, der sich wohltuend abhob vom faden Auftritt vieler anderer Aussteller Messehalle: optisch, durch von Künstlern und Architekten aufwändig und auffällig anders gestaltetes Ambiente. Und inhaltlich, durch ein klares Motto und einen hochkarätigen Wettbewerb für Startups, die dort auffällig präsent waren. Vor drei Jahren schließlich ein öffentlichkeitswirksamer Abschied von der CeBIT– und Start eines hauseigenen Formats: dem Festival NewNew. Der – erfolgreich eingelöste – Anspruch: Mit fast 200 ausstellenden Startups, etablierten Unternehmen und Institutionen sowie einem inspirierenden Programm zu Technologie, Unternehmensentwicklung, Wissenschaft und Gesellschaft digitale Pioniere auf Augenhöhe zusammenzubringen – im Herbst 2018 nun schon zum zweiten Mal.

Digital 2018: Die Telekom macht’s vor
Auch die Digital 2018 der Deutschen Telekom funktionierte bestens nach diesem Prinzip: Unter dem Motto "Beschleunigen, vernetzen, erklären und mitgestalten" gab es Anfang November zwei Tage lang ein dichtes, von der Telekom kuratiertes Programm, mit spannenden Keynote-Speakern wie Apple-Mitgründer Steve Wozniak, KI-Guru Chris Boos oder dem selbsternannten Cyborg Neil Harbisson. Offenbar ein anregender Rahmen für die täglich jeweils mehr als 4000 Gäste – die Veranstaltung war lange vor der Eröffnung ausverkauft. Und ein voller ökonomischer Erfolg für die Telekom, ihre Partner und Gäste. Gekrönt von einem fulminanten Abschlusskonzert der Black Eyed Peas vor 500 handverlesenen Gästen. So geht Kommunikation heute – dann klappt‘s auch mit der Digitalisierung.


Manfred Engeser ist Chefredakteur bei der internationalen Kommunikationsagentur Palmer Hargreaves in Köln. Seit rund 25 Jahren ist der Journalist und Politikwissenschaftler Mediengeschäft – darunter 15 Jahre bei der 'WirtschaftsWoche', wo er viele Jahre als Textchef, Ressortleiter und Autor für Print und Online tätig war.